„Ich bin ja so froh, dass ich eine Beta bin…„ ruft Anna Opalka und stellt sich in eine schicke Pose. Hauke Krugmeier verdreht genervt die Augen und versucht sich ihren Annäherungsversuchen zu entziehen, was Anna alias Lenina Crowne nicht versteht, denn schließlich „jeder gehört jedem.” Anna spielt Lenina Crowne, die mit Bernhard (Hauke Krugmeier) in die äußere Zone gereist ist und nun entsetzt die Wesen der alten Zivilisation sieht: „Natur, das ist ja pervers!”

Wieder einmal ist die Zeit der Proben und der intensiven Arbeit vorbei. Zwei grandiose Aufführungen des Literarturkurses der Jahrgangsstufe 11 liegen hinter uns. Am 10.04. und 11.04.2019 haben die Schauspielerinnen und Schauspieler das Stück „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley aufgeführt. In dieser „schönen neuen Welt“ gibt es für jede und jeden ein erfülltes und glückliches Leben – Wohlstand, Glück und Frieden. Langeweile, Krankheiten und Armut werden zugunsten des völligen Verlustes der Individualität ersetzt.

Ein dreiviertel Jahr probten die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses unter der Leitung von Maya Kühn und Ute Richter wöchentlich in zwei Besetzungen. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler lernten dabei sogar zwei Rollen. Dazu musste nicht nur eine Menge Text bewältigt werden, sondern auch die Rolle entwickelt, der Charakter verstärkt und jede Menge Schauspieltraining absolviert und das Miteinander geprobt werden. Zwei Besetzungen – zweimal alles entwickeln und üben. Die Schülerinnen und Schüler müssen über sich selbst hinauswachsen, sich trauen, auch ganz verrückte Tätigkeiten auszuüben, auf Kommando lachen oder weinen, Wutausbrüche bekommen. Da gehört eine Menge Mut zu! Ja, und dann die ganzen Choreos für die Gruppenszenen – da kommt es immer und immer wieder auf jeden Einzelnen an, das verlangt höchste Konzentration!

Neben diesen für den Zuschauer ersichtlichen Aspekten müssen während der Aufführungen noch viele weitere Aufgaben punktgenau erledigt werden – der Umbau des Bühnenbildes ist ebenso wichtig wie die Einstellungen des Lichtes und der Musik, Kostüme und Maske müssen ebenfalls stimmen. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler erfüllten also neben der Darstellung ihrer Rollen noch zahlreiche weitere Aufgaben, ohne die keine Illusion auf der Bühne gelingt, die man nicht sieht und deren Choreographie hinter der Bühne mit 40 Schülerinnen und Schülern ein echtes Management verlangt. Daher hörte man vor der Bühne während der Proben immer wieder: „Lauter! Es versteht dich keiner!” – an die Schauspielerinnen und Schauspieler gerichtet und: „Leiser! Mensch! Der Vorhang ist ein Sicht- und kein Hörschutz!”  – an die Schülerinnen und Schüler hinter dem Vorhang gerichtet.

Die Schülerinnen und Schüler zeigten das Leben in einem totalitären System, in der “Schönen neuen Welt.” Hier sind alle Menschen glücklich. Trotzdem unternehmen Lenina Crowne, grandios gespielt von Anna Opalka/Vivien Tomaszewski und Alina Broll/Eva-Lotta Schwarz und Bernhard Marx, erstklassig dargestellt durch Hauke Krugmeier und Sarah Misbah, einen Ausflug in die äußere Zone, eine Art Reservat, wo Menschen noch in ihrem ursprünglichen Umfeld fern ab der neuen „Zivilisation“ leben. Dort begegnen sie John Savage, überzeugend emotional dargestellt von Luca Pagliara und Sarah Misbah sowie Lena Voßbrink und Evgenia Guzey, welcher von der ehemaligen Beta Linda, überzeugend verzweifelt dargestellt von Aliana Boushah und Marie-Lena Kölker, auf natürliche Weise geboren wurde, ein Skandal!

Beide werden mit in die Schöne Neue Welt genommen. In dieser gehört jeder jedem, Sauberkeit kommt gleich nach Fordlichkeit, Schwangerschaftssimulationen ersetzen den Kinderwunsch und Kinder kommen perfekt aus der Retorte, genetisch im Bokanowski-Verfahren hergestellt und durch Emotional-Engineering genormt, sodass jeder seine Aufgabe seiner Kaste gemäß im Kollektiv perfekt UND in Zufriedenheit erfüllen kann. Wenn dennoch Langeweile oder Unzufriedenheit drohen, schaffen Sex mit jedem, Konsum und die Droge Soma Abhilfe. Sozialverträgliches Ableben in der Letalkammer schützt vor den unangenehmen Folgen des Alterns und vor Überbevölkerung. Das Individuum zählt nichts, denn das Wohl des Kollektivs steht über allem.

Doch John, welchem diese Welt zuerst als ideale Welt erscheint, hat seine Zweifel. Er fordert Individualität, echte Gefühle, auch wenn sie Leid bedeuten, und legt sich so mit dem Weltcontroller Mustapha Mond an. Mit Shakespearezitaten und Teilszenen versucht John die echten Gefühle den Bewohnern der neuen Welt nahezubringen. Grandios komisch gespielt dabei die Szene aus „Romeo und Julia” zwischen der Gräfin Capulet und Julia, die von Philipp Hadamik/Lukas Hegener und Orkun Cökerim/Enrique Perez in Hochzeitskleidern und auf hohen Schuhen verkörpert wurden. „Angesteckt an dem ganzen Schwachsinn hier” hat sich auch Helmholtz, ein Propagandatechniker, der gerne Dichter werden würde und verzweifelt versucht über etwas Echtes zu schreiben statt über Duftorgeln, dafür aber vom Weltcontroller ans Ende der Welt – nach Island – verbannt wird. Jannis Paraschos und Thomas Golombeck zeigten gekonnt und überzeugend, wie verzweifelt ein Mensch um echte Gefühle ringen muss, wenn er schon im Säuglingsalter auf die Dogmen der neuen Welt geprägt wurde. Besonders ergreifend war hier der emotionale Vortrag eines Gedichts.

Die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses überzeugten mit viel Energie, Ideenreichtum und Witz und natürlich schauspielerischem Können das Publikum an zwei Abenden, nachdem sie zuvor für jede Besetzung eine öffentliche Generalprobe vor den Schülerinnen und Schülern des EBG gespielt hatten.  Ihr wart toll – oder um mit Shakespeare zu sprechen: “Schöne neue Welt, oh schöne neue Welt, die solche Wesen trägt!”

Rike Kuhlmann, Maya Kühn und Ute Richter

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