„Danke Fr. Richter und Fr. Kühn, dass Sie beide uns eine Satire zugetraut haben“, bedankt sich Jana Brem im Namen des ganzen Literaturkurses des Ernst-Barlach-Gymnasiums am letzten Mittwoch nach der ersten Aufführung von „Yellow Line“. 26 Schülerinnen und 3 Schüler probten ein Dreivierteljahr lang im Zuge des Literaturkurses der Jahrgangsstufe 11. Aufgrund der großen Anzahl wurde in zwei verschiedenen Besetzungen geprobt, viele Schauspielerinnen und Schauspieler lernten dadurch zwei oder mehr unterschiedliche Rollen. Aber nicht nur das Schauspiel und das Bühnenbild mussten erlernt und umgesetzt werden, auch hinter der Bühne muss alles passen, sonst stimmen die Umbauten nicht und alles gerät ins Wanken. Das Zusammenspiel von Helfern mit kleinen Rollen an einem Abend, den großen Rollen eines Abends, den Souffleuren und der Technik ist eine ebenso genau eingeübte Choreographie wie das Spiel auf der Bühne selbst, das der Zuschauer genießt. „Hier lernt man punktgenau und aufmerksam zu handeln ohne im Mittelpunkt zu stehen, der Zuschauer will ja nicht bei 19 Szenen 19×5 Minuten Umbau anschauen“, erklären die Lehrerinnen. Dafür muss auch hinter der Bühne immer alles wieder an einen bestimmten Platz, denn dort ist es während der Aufführungen stockdunkel.

Das Stück von Juli Zeh und Charlotte Roos kombiniert drei zuerst zusammenhangslos erscheinende Handlungsstränge zu einem zentralen Thema: Ist in der heutigen Zeit überhaupt noch Selbstbestimmung gewollt, oder sehnt sich die Gesellschaft nicht doch nach einem geregelten Leben, in welchem einem Entscheidungen abgenommen werden und die öffentliche Ordnung durch gelbe Linien, welche nicht übertreten werden dürfen, geregelt ist?

Das Stück beginnt temporeich mit dem Verhör des in Schiffbruch geratenen libyschen Fischer Asch-Schamich, mit Quatscharabisch herrlich komisch gespielt von Laura Hoßfeld und Pascal Ulrich, welcher von Frontex aus dem Wasser gerettet und in ein Auffanglager für Flüchtlinge in Europa gebracht wird. Asch – Schamich behauptet vehement, dass eine vom Himmel geflogene Kuh sein Fischerboot zerstört habe und er keinesfalls nach Europa fliehen wollte, was Grenzbeamte, Dolmetscherin, überzeugend verzweifelt dargestellt von Inga Bluhm und Zaineb Aissat, und der gelangweilte Hippiemenschenrechtler (Lara Altmann) auf keinen Fall glauben können und wollen, denn wer möchte denn bitte nicht nach Europa fliehen?

An anderer Stelle des Kontinents lässt sich die Künstlerin Helene, herrlich zickig und überzogen dargestellt von Elena Bragin und Joana Seidl für den guten Zweck versteigern, was Lebensgefährte Paul (mit herausragender Leistung gespielt von Umut Kösecik und Jana Brem) sichtlich auf die Palme bringt. Nach einem gemeinsamen Pauschalurlaub, welcher Paul absolut gegen den Strich geht, übertritt dieser auf der Heimreise am Flughafen verbotenerweiseeine gelbe Linie und wird daraufhin verhaftet.

In weiteren Szenen preist Herdenmanagerin Carina Böker überzeugend und gekonnt das moderne Kuhherdenmanagement an, welches die Kuh durch Konditionierung im täglichen Ablauf zur Melkstation, der Nahrungsaufnahme, der Körperpflege-Station etc. leitet, wobei die Kuh natürlich nicht gezwungen wird, sondern ihr nur Möglichkeiten aufgezeigt werden, welche sie all zu gerne annimmt. Da stellt sich die Frage, ob hier ein Vergleich zur modernen menschlichen Gesellschaft geschaffen wird, denn Paul regt sich während seines Pauschalurlaubs unglaublich über vorgegebene Essenszeiten, geschwungene Wege, welche dadurch nur noch grader werden als grade Wege es ohnehin schon sind und Zäune, welche den All – inclusive – Bereich begrenzen, auf. Sein Freiheitsbestreben endet damit, dass er die entlaufene Kuh Yvonne, (mit unglaublicher schauspielerischer und clownesker Leistung verkörpert von Kopika Kesavan) mit einem ausgeklügelten Plan in ein Flugzeug verfrachtet, um sie in ihre Freiheit zu bringen. Doch wie es das Schicksal will, muss die Kuh aufgrund einiger Turbulenzen von Bord geschubst werden und trifft so das Fischerboot von Asch – Schamich. Der Kreis schließt sich und schlussendlich wird auch diesem nach endlosen Verhören endlich abgenommen, dass er gar nicht fliehen wollte, sondern nur einen einzigen Wunsch hat: Nach Hause zu seiner Familie zu reisen.

Unter der Regie von Maya Kühn und Ute Richter überzeugte das Ensemble beider Aufführungen das Publikum mit viel Witz, Situationskomik und schauspielerischen Höchstleistungen. Zwei gelungene Abende, an denen die Elftklässler des EBG ihr Können und ihre Begeisterung für die Schauspielerei zeigen konnten und das Publikum, darunter zahlreiche Ehemalige aus den Literaturkursen seit 2010,  mit Standing Ovation die Leistung würdigte.

„Dass auch Schüler*innen aus den letzten Jahren immer wieder kommen und sich ansehen, was der aktuelle Kurs auf die Beine stellt, finden wir unglaublich schön und bestärkt uns, dass sich die unglaubliche Kraftanstrengung jedes Mal wieder lohnt!“, freuen sich die beiden Lehrer*innen.

(Rike Kuhlmann)

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